(c) 2024 Anastasia Woronzova
Der Wind spielte mit meinem Haar, als ich am Strand entlangging. Es war eine sternenklare Nacht, und das Rauschen der Wellen war das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach. Ich hatte diese Reise nach Malibu gemacht, um zu mir selbst zu finden, eine Woche Abgeschiedenheit von der Welt, um neue Energie zu tanken.
Doch an diesem Abend fühlte sich alles anders an. Die Luft war schwer, beinahe elektrisierend, und ich spürte, dass etwas Besonderes geschehen würde.
Dann sah ich ihn.
Eine Gestalt stand am Ufer, ganz still, den Blick fest aufs Meer gerichtet. Der Mann trug einen langen, dunklen Mantel, und seine Kleidung schien nicht von heute zu sein – altmodisch, wie aus einer anderen Zeit. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, aber nicht aus Angst. Es war eher ein Gefühl von … Vertrautheit.
Ich weiß nicht, was mich dazu brachte, zu ihm zu gehen. Vielleicht war es die Art, wie er da stand, so einsam, so verloren.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte ich schließlich. Meine Stimme zitterte leicht.
Er drehte sich zu mir um und in dem Moment, als sich unsere Blicke trafen, blieb die Welt stehen. Seine Augen waren grün, so intensiv, dass sie die Dunkelheit durchdrangen wie das Licht eines Leuchtturms. Ich fühlte, wie mir die Knie weich wurden. Diese Augen – ich kannte sie. Ich war mir sicher, obwohl ich nicht sagen konnte, woher.
Er lächelte sanft.
„Ich heiße James“, sagte er mit einer Stimme, die wie eine ferne Melodie klang. „Ich bin hier, weil ich etwas verloren habe.“
„Was haben Sie verloren?“, fragte ich, obwohl meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern war.
Er sah mich lange an, sein Blick drang tief in meine Seele.
„Meine Liebe“, sagte er schließlich.
„Ich habe meine Frau verloren und ich finde sie einfach nicht mehr.“
Etwas in mir regte sich, ein Schmerz, den ich nicht verstand.
„Wann haben Sie sie verloren?“, brachte ich hervor.
„Es ist lange her“, antwortete er. „Sehr lange. Ich weiß nicht mehr, wie viele Jahre vergangen sind. Nur, dass ich sie noch immer suche.“
Ein leises Zittern durchlief mich.
„Was ist damals passiert?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort fürchtete.
Er wandte den Blick wieder zum Meer.
„Ich war Kapitän“, begann er. „Wir hatten ein kleines Haus am Meer, so wie dieses hier. Sie wartete immer auf mich, wenn ich von meinen Reisen zurückkam. Doch eines Tages kam ich nicht mehr zurück. Ein Sturm erfasste unser Schiff und ich … ich ertrank.“
Ich schnappte nach Luft. Alles an ihm – seine Kleidung, sein Auftreten, diese unheimliche Präsenz – wurde plötzlich klar.
„Sie sind … ein Geist“, flüsterte ich.
Er nickte langsam.
„Seitdem bin ich an diesen Ort gebunden. Ich kann nicht gehen, bis ich sie wiederfinde. Doch ich suche und suche … und sie ist nirgends.“
Etwas in mir brach. Ich wusste nicht, warum, aber ich fühlte seinen Schmerz, als wäre er mein eigener. „Wie sah sie aus?“, fragte ich.
Er drehte sich wieder zu mir um, seine Augen leuchteten seltsam. „Wie du“, sagte er leise. „Du bist es. Du bist meine Liebe.“
Die Worte trafen mich wie ein Schlag.
„Das kann nicht sein“, stammelte ich. „Ich bin nicht … ich meine, ich war nie …“
Doch in diesem Moment brach eine Flut von Erinnerungen über mich herein, so lebendig, als wären sie erst gestern geschehen: Ein kleines Haus am Meer, das Lachen eines Mannes mit leuchtenden grünen Augen, die Wärme seiner Umarmung. Und dann die endlose, verzweifelte Warterei, das Wellenrauschen, das seine Rückkehr ankündigen sollte – aber nie tat.
Ich war es. Ich war seine Frau. Doch ich war wiedergeboren worden, hatte ein neues Leben begonnen, während er in der Zwischenwelt gefangen blieb, suchend, rastlos.
Tränen liefen über meine Wangen, als ich seine Hand ergriff.
„James“, flüsterte ich. „Du hast mich gefunden.“
Er lächelte, doch es war ein trauriges Lächeln. „
Ja“, sagte er. „Doch jetzt, da ich dich gefunden habe, weiß ich, dass ich gehen muss.“
„Nein!“, rief ich, Panik erfüllte mich. „Das kannst du nicht. Bleib hier, bitte!“
Er schüttelte den Kopf.
„Ich habe meine Ruhe gefunden. Ich kann jetzt loslassen. Aber du – du musst weiterleben. Lebe für uns beide.“
Seine Gestalt begann zu verblassen, sein Gesicht wurde unscharf, doch seine grünen Augen hielten meinen Blick, bis zum letzten Moment.
„Ich liebe dich“, hörte ich ihn noch flüstern, bevor er verschwand.
Ich sank auf die Knie, die Tränen liefen mir unkontrolliert über das Gesicht. Der Wind trug seine letzten Worte davon und das Meer rauschte, als wollte es mir Trost spenden.
An diesem Abend wusste ich, dass ich ihn nie vergessen würde. Doch ich wusste auch, dass er endlich Frieden gefunden hatte – und dass ich jetzt lernen musste, das Leben in vollen Zügen zu leben, wie er es gewollt hätte.